Stellt Fußball einen Ersatzkrieg dar? von Christian Holtmann

Christian ist ein junger Mann, Anfang 30 und begeisterter Fußballfan. Er ist immer wieder im Stadion in Meppen oder verfolgt die Spiele der Bundesliga oder der Champions League. Christian hat 5 Semester Theologie und Geschichte in Münster studiert und lebt heute in Meppen beim Verein Lotse in einer Wohngruppe. Christian ist ein begnadeter Schreiber und hat verschiedene Texte über das Thema Fußball (-vergleiche) verfasst. Wir freuen uns, dass Christian uns die Texte zu Veröffentlichung bereit gestellt hat.

 

Stellt Fußball einen Ersatzkrieg dar?

Eine kulturanthropologische Annäherung

Wir leben bekanntlich in Europa in einem Zeitalter, in dem Kriege zwischen Nationen nicht mehr die große Rolle spielen wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt deswegen stellt sich die Frage, ob der Fußball heutzutage als eine Art Substitution für Krieg und Gewalt fungiert.

Noch bis in die 60er Jahre nannte man Fußballspiele zwischen Nationen beispielsweise „Länderkampf“, eine Altlast aus der Zeit, als Fußballspiele noch von autoritären Regimen zur Machtdemonstration instrumentalisiert wurden. Aber auch heute ist der Fußballjargon noch durchdrungen von einer Kriegsmetaphorik, die ihresgleichen sucht: So nannte Oliver Bierhoff Lukas Podolski´s linken Fuß etwa eine „echte Waffe“, mit der man dem Gegner „wehtun“ könne. Gerd Müller war bekanntlich der „Bomber“ der Nation, eine „Granate“, wenn es darum ging, die Pille im Tor zu versenken und Timo Werner wurde von seinem Trainer Ralph Hasenhüttl jüngst als „Rakete“ bezeichnet. Nicht umsonst stellt die Auszeichnung zum Bundesligatorschützenkönig zudem eine Kanone dar, wie die meisten wissen.

Als Hansi flick vor der EM 2012 in Polen und der Ukraine gefragt wurde, wie sich die deutsche Mannschaft bei Freistößen von Christiano Ronaldo verhalten sollte, antwortete er mit der Bemerkung „Stahlhelme aufsetzen“. Der Aufschrei der Entrüstung, der durch den medialen Blätterwald ging, war groß: Hatte Flick etwa absichtlich diese Kriegslyrik gewählt um einen Vergleich zum zweiten Weltkrieg heraufzubeschwören? Schließlich war der „Stahlhelm“ ein von Franz Seldte, einem Veteranen des 1. Weltkriegs gegründeter paramilitärischer Kampfbund, der zum Ziel hatte die Verhältnisse des Versailler Friedensvertrages zu revidieren. Der DFB war um Glättung der Wogen und eine Klarstellung bemüht; so musste flick ausführen, dass er den Begriff völlig wertneutral gemeint habe. Dieses Beispiel verdeutlicht den hohen Sensibilisierungsgrad, den das Thema Krieg und Fußball allgemein auslöst.

Ältere werden sich noch daran erinnern, dass das Meppener Stadion, die „Hänsch Arena“ vormals Emslandstation, davor den Namen „Hindenburgstadion“ trug. Auch dies ist eine Reminiszenz an die Tage, als die Wirkungszusammenhänge von Sport und Politik noch deutlich verflochtener waren als heute. (Hindenburg, Feldmarschall im 1. Weltkrieg und später Reichspräsident in der Weimarer Republik, war es bekanntlich,  der Adolf Hilter zum Reichskanzler ernannte). Man denke in diesem Zusammenhang unglücklicher Nazialtlasten auch an den unschönen Vergleich von Katrin Müller Hohenstein, die bei der WM 2010 Miroslav Klose nach geglücktem Torabschluss einen inneren Reichsparteitag diagnostizierte.

Übersteigerter Nationalismus, Chauvinismus und Abwertung des Anderen finden auch heute noch ihren Ausdruck im Verhalten vieler Fußballfans, die sich, in Kriegsbemalung und mit National- und Vereinsfahnen dekoriert, an dem Geschehen auf dem Rasen ergötzen. Auch Rassismus stellt in vielen Stadien keine Seltenheit dar, man denke nur an die Affenlaute gegenüber Antonio Rüdiger bei einem Spiel des AS Rom in der Serie A.

Überhaupt ist das archaische Moment im „Fußballkrieg“ nicht zu übersehen: Männer liefern sich Schaukämpfe, reißen sich im Falle des Sieges die stolze Brust frei, präsentieren ihren schweißüberströmten Körper vor den tobenden Massen (wie besonders gerne etwa Christiano Ronaldo), während die Verlierer froh sein dürften, dass sie nicht, wie in der römischen Kampfarena, den gesenkten Daumen und das Schwert zu erwarten haben.

Das Archetypische am Fußballspielen kann man derweil auch aus anderen Quellen herleiten:

Der bekannte holländische Philosoph Peter Sloterdijk erkennt im Fußball die Szenerie einer anderen Art menschlicher Ur-Situation, nämlich „mit einem ballistischen Objekt ein Jagdgut zu treffen, das mit allen Mitteln versucht, sich zu schützen“. Die Jagd im Kollektiv gilt als eine der Motoren menschlicher Entwicklung ebenso wie die Koordinationsleistung, die das gezielte Werfen eines Steins oder eines Speers erfordert. Fußball scheint hier also eine Art Verkörperung eines Urtriebes des Menschen zu sein.

Den Durchbruch dieses Archaisch-Urtriebhaften, das eng mit Männlichkeitsritualen einhergeht, lässt sich jedenfalls immer wieder in der Praxis beobachten: Man denke etwa an das WM Finale 2006 und die Provokation Materazzis an Zidane, der auf die Frage Zidanes, ob er sein Trikot wolle, antwortete, seine Schwester sei ihm lieber. Der darauffolgende Kopfstoß Zidanes zeigte einmal mehr, wie sich die Gesetze der Wildnis in der vermeintlichen Zivilisation Bahn brechen.

Dieses Gesetz des Dschungels lässt sich auch auf überindividueller zwischenmenschlicher Ebene am Phänomen des Hooliganismus festmachen. Menschen rotten sich hier zu wilden Horden zusammen und liefern sich im Kollektiv ersatzkriegsähnliche Schlachten. Fußball wird hier zu einer Plattform für Gewalt und Terror humoristisch gesehen, möchte man Solcherart Ewiggestrigen aller Couleur, gemeinsam mit einem Bonmot von Berti Vogts zurufen: „Hass gehört nicht ins Stadion. Das sollten die Männer daheim mit ihren Frauen im Schlafzimmer ausleben.“