Fußball- eine (Ersatz-)religion? von Christian Holtmann

Christian ist ein junger Mann, Anfang 30 und begeisterter Fußballfan. Er ist immer wieder im Stadion in Meppen oder verfolgt die Spiele der Bundesliga oder der Champions League. Christian hat 5 Semester Theologie und Geschichte in Münster studiert und lebt heute in Meppen beim Verein Lotse in einer Wohngruppe. Christian ist ein begnadeter Schreiber und hat verschiedene Texte über das Thema Fußball (-vergleiche) verfasst. Wir freuen uns, dass Christian uns die Texte zu Veröffentlichung bereit gestellt hat.

 

Fußball- eine (Ersatz-)religion?

Eine kultursoziologische Betrachtung

Nicht erst seit heute, im Zeitalter des Bedeutungsverlustes von Kirche und Religion, stellt sich zunehmend die Frage, ob der massenwirksame Sport des Fußballs die Funktion von Kirche und Glaube übernimmt.

Schon in den 60er Jahren wusste man mit dem Ausspruch „niemand kommt an Gott vorbei – nur Libuda“ auf humorvolle Art und Weise die Überschneidungspunkte zwischen himmlischer und weltlicher Sphäre zu kennzeichnen. Der solcherart vergöttlichte Libuda firmiert nur als ein Indikator dafür, wie sich der Fußball ein quasireligiöses Gewand überstreift und sich religiöser Sinnstiftungsmuster bedient. So wird denn auch der vielzitierte „Fußballgott“ bemüht um die charakteristischen, spielentscheidenden Wendungen eines Fußballspiels zu erklären. Man denke auch etwa an Diego Maradonna, der ein entscheidendes (Hand-)tor dummdreist als mit der Hand Gottes erzielt erklärte. Heroen des Fußballs wie früher etwa Günter Netzer oder heute ein Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi (der gar als „Messias“ oder „Hostie“(Pep Guardiola) bezeichnet wurde) wurden und werden in den Rang von „Fußballgöttern“ erhoben und genießen in der Öffentlichkeit einen Sonderstatus gleichwie mit der diplomatischen Immunität versehene Bundestagsabgeordnete. Sinnstiftungen bieten auch quasireligiöse Erleuchtungen des Ballsports wie etwa Sepp Herbergers vielzitierte Aussprüche „ein Spiel dauert 90 Minuten“ oder „der Ball ist rund“ was im Umkehrschluss etwa soviel bedeutet wie: Es kann alles passieren, im Spiel wie im Leben, und abgepfiffen wird erst am Schluss.

Noch deutlicher liegen die Parallelen zwischen Fußball und Kirche in den Inszenierungsstrategien beider Massenanziehungsphänomene: In den „Kathedralen des Fußballs“ laufen, gleichwie in Gottesdienstliturgien, Rituale ab, die den Kitt ausmachen, der beide Massenveranstaltungen zusammenhält. Das Einlaufen der Spieler in ihren „Tempel“ oder „Mekka des Fußballs“ erinnert an den Einzug der Messdiener, das Singen der Hymnen an die kirchlichen Eingangslieder; der Stadionsprecher übernimmt die Rolle des Priesters und Vorbeters der die Versammelten animiert und durch das Prozedere führt. Fanchoreographien mit Flaggen und Standarten lassen sich –in beschränkt enthusiastischerem Ausmaße- auch in Kirchen beobachten und dies nicht nur an Feiertagen. Auch die räumlichen und personellen Strukturen und Komponenten lassen sich –mit etwas Wohlwollen- miteinander vergleichen: Der 16 Meterraum als geheiligter Altarraum mit dem geschützten 5 Meterraum in dem, dem Tabernakel gleich, das Tor ruht. Der Torhüter ist der einzige, der, dem Priester gleich, das Allerheiligste , den Ball oder die Hostie, an sich nehmen darf und das Spielgerät unter die Anwesenden befördert.

Dabei erscheint aber das Zuschauen beim Versenken der Pille im Tor aus der Tiefe des Raumes ungleich attraktiver als die drögen Darbietungen im Kirchenschiff bei denen es keine Spannungskurve gibt. Auch die sogenannten „magischen Momente“ eines Fußballspiels wie etwa ein gegebener Elfmeter, eine rote Karte, ein Tor, oder ein zirkusreifes technisches Kabinettstückchen lassen die Herzen höher schlagen als etwa der mystische Moment der Wandlung der Hostie bei der Eucharistie.

Für Kirche und Religion elementare Begriffe wie Gemeinschaftsstiftung, Identitätsbildung, Werteorientierung und Weltdeutung gelten ebenfalls für den Fußballkosmos: Die verschiedenen Fangruppierungen schaffen sich ihre eigenen Szenen und Subkulturen in denen sie ihr gemeinsames geliebtes Fanobjekt teilen; Vereinsprofile. Fankodizes und sportliche Werte wie Fairplay und das Erleben von Gemeinschaft, Integration und Inklusion treten in Konkurrenz zu den Glaubensvorschriften und dem universalen Geltungsanspruch der kirchlichen Normen und Werte. Die umfassende Weltdeutung, Sinngebung und Ursachenerklärung, die Kirche und Religion leisten erfährt eine –wenn auch beschränkte- Entsprechung im zeitlich und räumlich begrenzten Bereich der Ordnung und Eindeutigkeit des Fußballplatzes, wie etwa die eingangs zitierten Äußerungen Herbergers aufzeigen.

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass selbst der vielgeliebte König Fußball nicht das das gesamte menschliche Leben in seiner Komplexität erklären kann und für zentrale menschliche „Seinserfahrungen“ wie Leid, Schmerz, Tod oder die mögliche Transformation menschlichen Lebens nach seinem Ende keine Deutung parat hält. Über allen heidnisch-sportlichen Vorstellungswelten thront damit immer noch der christliche Gott, oder wie es viele sagen würden; es gibt im Leben noch wichtigere Dinge als Fußball.

Für den eingefleischten Fußballfan zählt derweil freilich weiter der berühmte Satz von Liverpool Ikone Bill Shankly, der einmal äußerte; Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann ihnen versichern dass es noch sehr viel ernster ist.“